Akt I:
Credenhill, EU
"IHR SEID NICHT MEHR IN KALIFORNIEN! IHR SEID IM DRECK!" - so begrüßte Cpt. Price die Neuankömmlinge im Sternenflottenausbildungsstützpunkt Hereford, während er sie Liegestütze machen ließ. Sollte auch nur einer schnaufen oder absetzen, setzte er auch mit seiner Rede ab und erst wieder an, als alle fünfzehn Offiziersanwärter vor ihm in Bewegung waren. Der Captain war kein Freund langer Reden und diesem Umstand verdankten die Anwärter, dass sie am nächsten Morgen lediglich einen mörderischen Muskelkater hatten anstatt zurück geschickt zu werden.
Aber im Moment waren sie auf dem rauh asphaltierten Vorplatz des Stützpunktes während Transporter, Shuttles und Antigrav-Zugpferde an ihnen vorbeirauschten und machten Liegestütze wobei jeder Einzelne von ihnen schon bei zwanzig aufgehört hatte zu zählen. Die grauen, halbrunden Baracken der Unterkünfte, des Waffenlagers und der Trainingshallen lagen vor ihnen während die Trainingskurse hinter ihnen lagen. Die Trainingskurse bestanden aus Baumstämmen, Stacheldraht, Reifen und Schlamm - verschieden angeordnet und manches Hindernis auf den ersten Blick unschaffbar - diese waren für die Teamarbeit. Sie waren an diesem Morgen nicht die einzige Gruppe, die hier war. Zwei Trupps Unteroffiziere liefen ebenfalls über den Platz und hatten teils verachtende, teils belächelnde Blicke für die Greenhorns übrig, die sich noch mit Liegestütze während der Begrüßung abgeben mussten.
Den Anwärtern, die nur in T-Shirts, Stiefeln und Hosen angereist waren, kroch der kühle Wind der schroffen Landschaft unter die Haut und auch wenn keiner daran glaubte, fielen nach kürzester Zeit die Schweißtropfen über Stirn und Nase bis auf den Boden vor ihnen. Dabei stampfte ihnen der Captain noch immer seine Rede ein: so prägnant, so getaktet, dass sie sich jeder der Kadetten ins Hirn meißelte. "KEINER VON EUCH WIRD DAS ÜBERLEBEN! UND DARUM ÜBERLEGEN WIR JEDEN TAG, OB IHR AM NÄCHSTEN NOCH HIER SEID!", schloss der Captain seine Rede und das waren auch die Sätze, die zur Ausnahme keine direkte Beschimpfung enthielten. Die Kadetten hatten das alles in der Grundausbildung überlebt aber Credenhill umwehte der Wind von sonderbarer Elite. Hier war der Schlamm tiefer, der Stacheldraht schärfer und die Ausbilder gnadenloser - sagte der Flurfunk an der Akademie.
Die Kadetten standen auf und jetzt sahen sie das erste Mal mehr von Captain Price als die Stiefel und die Tarnmusterhose - beide akkurat geputzt - und der Uniformjacke, die in die Hose gesteckt war. Price war ein ca. 185cm großer Mann in seinen mittleren Vierzigern und mit einem sonderbaren Bart und einer sehr, sehr, sehr akkuraten und tiefen Stimme, die einen innerhalb von Sekunden davon überzeugen konnte, dass er jede Beschimpfung von hier bis zum Delta-Quadranten persönlich kannte und sich mit ihr nach Dienstschluss auf ein Bier traf. Kurzum: Er war der typische europäische Ausbilder: hart, bodenständig und in der Welt herumgekommen. Er war ihr Ausbilder. Sweetwater war ihr Aufpasser.
Zu Sweetwater muss man ein paar Worte sagen. Er war der komplette Gegensatz zum aufrechten Price, vor allem der gebeugt wirkende Gang. Er wirkte verschlagen und mit seinen weißen Zähnen und den langen Haaren wirkte er fast wie eine Ratte. Sweetwater hatte keinen Rang oder niemand nannte ihn. Seine einzige Aufgabe bestand darin, die Kadetten zu beobachten und dem Captain jeden einzelnen Fehler zu nennen. Das machte Sweetwater extrem unbeliebt aber fast alle Kadetten wussten auch vonm Hörensagen, dass Sweetwater nur ein Holo-Programm war und ihre Nerven an den Rand des Zusammenbruchs bringen sollte. Er teilte ihnen ebenfalls mit, wann sie wo und wie zu erscheinen hatten. Aufstehen jeden Morgen um Vierhundertdreißig und Laufen von Fünfhundert bis Sechshundert. Frühstück in dreißig Minuten, Waffenkunde bis Zehnhundert. Schusstraining bis Zwölfhundert. Mittag in dreißig Minuten, eine Stunde Pause, Trainingskurse bis Fünfzehnhundert und danach war der Unterricht bzw. das Training bis Neunzehnhundert angesetzt, änderte sich aber je nach absolvierter Tagesanzahl: Orientierungstraining, Nahkampftraining, Teamtraining, Sprengstoffkunde, Scharfschützentraining, Grenzfahrten, Orbitalabsprünge. Bei den jeweiligen praktischen Abprüfungen wurde den Kadetten nicht mal gesagt, wieviel Zeit sie jeweils dafür bekamen. Jeder hatte sein Bestes zu geben.
DerÄlteste unter ihnen war ein Mann mit dem obligatorisch kurzgeschorenem Haar und dem Greifen-Tattoo an der Schulter. Mit seinen frühen Dreißigern war er unter den Kadetten schon weit enteilt und Sweetwater damit näher als seinen Zimmerkameraden. Wobei einem die egal waren, die Kammer wurde meist eh nur zum Schlafen benutzt. In dieser weitestgehend rein männlichen Welt waren die Dialoge kurz und einfach: "Hey Zur, schläfst du schon?" - *schnarch*. Oder etwa: "Wow, du musst echt Hunger haben." - "Hm. *schmatz*". Tatsächlich brachte Price dann noch zehn Kadetten durch die Abschlussprüfung, wobei einer nach einem 20 Stunden-Marsch mit Gepäck über 65km und ingesesamt 7000 Höhenmeter in einen lebensgefährlichen Zustand verfiel und die restlichen einfach ausstiegen. Man kann das Jahr nahe Hereford auch so beschreiben: Es war Viehhaltung mit Bildungsausflügen. Unter anderen Offizieren, zB denen der Wissenschaft, galt Credenhill als archaisches Überbleibsel des Marine Corps und Fossil einer vergangenen Zeit. Unter allen, die es bestanden, war Credenhill ein Synonym für den ganz, ganz schweren Weg.
Der Älteste mit dem Greif auf der Schulter übrigens war unter den Kadetten als "Oldie" bekannt. Er war nicht der klügste, kreativste, schnellste oder stärkste Mann der Truppe aber derjenige, der die Zähne am besten zusammenbeißen konnte und sich durch die Übungen kämpfte. Er flachste mit den Anderen, kämpfte und verfluchte mit den Rekruten Price und Sweetwater (was Sweetwater meistens hörte und - ganz der Aufgabe entsprechend - umgehend meldete). Was er nicht mit ihnen teilte, war die Geschichte die ihn an diesen Ort führte. Aber manchmal erinnerte er sich spät am Abend, wenn Schlamm und Schreie aus seinem Kopf wichen, warum er hier war ...