Apartment von Kemwer und Junit, 16. Stock, Wohngebäude nahe Landungsfeld 0-13, Sel-Emna
Kemwer und Junit hatten die Taschen gepackt. Es hielt sie nicht weiter auf der Sel-Emna und die Entscheidung war gefallen. Beide wollten auf den nächsten Transporter in Richtung Heimat und hatten um einige Ecken auch eine Absprache mit einem der Transportercaptains getroffen. "Heimat", das hieß in diesem Fall zurück nach Yu. Wohin auch sonst? Ihre Tochter Nunet war am Leben. Die beiden Yu waren in eifriger Geschäftigkeit verstrickt, als Junit Kemwer eine weitere schwarze Tasche vor die Füße warf. Wohin auch sonst? In ihrer relativ kleinen Behausung nahe den Märkten beim Landefeld 0-13 war nicht unglaublich viel Platz. Es würde im Transporter noch enger werden aber beide waren nach der Unterhaltung mit Ms. Tregaron zu der stillen Übereinkunft gekommen, dass beide alles erdulden würden um ihre Tochter wiederzusehen.
"Willst du nichts hierlassen?", fragte Kemwer noch einmal vorsichtig. Seiner Meinung nach war jede Tasche zuviel, man würde sich auf Yu gut selbst versorgen. Er hatte nur Gutes über die Versorgung der Sternenflotte dort gehört.
"Nicht das Geringste.", entgegnete Junit scharf: "Das Werkzeug können wir jederzeit wieder gebrauchen. Wir müssen auf Yu auch noch für Nunet sorgen."
"Die Sternenflotte hat für alles gesorgt.", insistierte Kemwer so einfühlsam er konnte.
"Ich will aber auch selber für meine Tochter sorgen können."
Kemwer seufzte nur lautlos und sah aus dem Fenster hinaus auf die Stadt, die auf den Innenseiten der Flügel der Sel-Emna errichtet worden war. So lange war das hier ein Ort zum Trauern geworden, erst langsam setzte sich Optimismus unter den Yuzang durch. Die weißen Fassaden, die durch den Nebel und die Schilde hindurch zartviolett wirkten, die Lichter hinter den Fenstern ... all das war sein normaler Ausblick geworden. Routine kann ein gewaltiger Trostspender sein ...
Ein dumpfes aber lautes Rummsen erschütterte den 16-stöckigen Bau, in dem Kemwer und Junit mit vielen anderen Yuzang wohnten.
"Was war das?", fragte Junit aufgeschreckt.
"Ich habe keine Ahnung.", gab Kemwer unruhig zurück. Er machte zwei Schritte zur Tür, die beiseiteglitt. Andere Yuzang sahen nervös in halbangelegten oder über den Kopf geschlagenen Kapuzen ihrerseits aus ihren Wohnungen auf den schmalen Gang. Es erklang ein leises und verwirrtes Stimmengewirr. "Weiß jemand, was los ist?", fragte Kemwer die Gesichter, die genauso ratlos wie er waren.
"Keine Ahnung."
"Klang als wäre ein Transporter unsauber aufgesetzt."
"Hat mal jemand unten nachgesehen?"
"Ich habe Angst ..."
Kemwer fand die Aussagen weniger hilfreich und wollte sich nach links wenden, um dort mehr von den Worten erhaschen zu können. Aber dazu kam er nicht mehr, denn ihn erfasste ein Schlag von einer Kraft, wie er ihn nie gekannt hatte. Scharfkantige Splitter und Schrapnell flog durch die Luft, als ein gewaltiges Etwas den Gebäudeteil links von ihm niederwalzte. Kemwer wurde zu Boden geschleudert, tief in den Gang hinein. Obwohl seine linke Seite schmerzte, rappelte er sich sofort auf. Wo eben noch ein Gang gewesen war, war nun Staub,Kunststoffrest und ein paar sprühende Funken aus den abgerissenen Energieleitungen. Mitten im Gebäude brach der Gang ab, führte ins Nichts. Kemwer starrte an der Kante angekommen fassungslos hinaus. Das Gebäude war wie abgerissen. Wo sonst Wohnungen waren, war nun leerer Raum. Kemwer sah nach unten. Ein gewaltiges Loch klaffte im Boden der Station, dem Krater nach zu urteilen war hier etwas eingeschlagen. Zuerst dachte Kemwer an einen schrecklichen Unfall oder einfach einen Fehler in der Architektur. Dann sah er, einem inneren Impuls nachgebend, nach vorne, er hatte jetzt freien Blick auf das Landungsfeld und die es umgebenden Phaser. Die Abwehrphaser der Station zischten wütend über Kemwer hinweg und er folgte ihren Strahlen. Was er am Ende der Sel-Emna sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren: Hunderte ... nein, tausende Meteoriten mit glühend rotem Schweif hielten direkt auf die Sel-Emna zu. Die Phaser gaben ihr Bestes um die Gesteinsbrocken zu zerstören aber das würde nicht reichen. Es waren zuviele. Es folgte ein weiteres Rummsen, das eher wie ein Knacken klang. Kemwer machte einen Schritt zur Seite: "Junit?"
"Kemwer?", kam die Gegenfrage, offensichtlich verstört.
"Wir müssen hier raus!", rief Kemwer, drückte ein Trümmerstück beiseite und eilte zurück ins Apartment von ihm und seiner Frau. Sie lag am Boden, offensichtlich hatten nur ein paar Splitter ihre Schulter getroffen. Der Geruch von Verbrennungen, Staub und Feuer lag in der Luft, das weckte in Kombination mit den zischenden Phasern verhasste Erinnerungen. "SCHNELL!", half Kemwer Junit auf.
Dann kippte das Gebäude, in dessen 16. Stock sich die beiden befanden, langsam aber sehr sicher zur Seite. Sein Aufprall auf dem Boden war nur noch ein Krachen unter vielen, als runderhum dutzende Meteoriten aller Größen einschlugen und Kraternarben in die Oberfläche der Sel-Emna-Städte fraßen.
<<< Fortsetzung folgt am 11.07. >>>