Venedig, Erde, 2387
Kurz nachdem Vakarian von seinem Podium der Konferenz heruntergetreten war, ging er in den Hinterraum und setzte sich. Er schnaufte durch und trank ein paar Schluck Wasser. Er mochte diese Stadt und hatte hier für die Wahlzeit sein Lager aufschlagen lassen. Die vielen Kanäle erinnerten ihn an seine Heimat und da Vakarian nicht beabsichtigte, nach Turia IV zurückzukehren, würde er vielleicht hier bleiben. Gab es für ihn überhaupt ein Zurück? Er war sich nicht sicher.
Für einen Moment besann sich der stattliche Turianer. Er schaute aus einem der etwas ältlichen Fenster des Gebäudes auf die Stadt und die Häuser, die fast ins Meer hineinragten. An einem Steg, direkt bei einem dieser kleinen schwarzen Boote stand eine Menschenfrau. Sie sah Vakarian natürlich nicht aber er sah sie. Er beobachtete sie dank seinem Visor sehr genau. Ihre Bewegungen waren fließend und ihre Haare waren fast ebenholzdunkel. Er mochte die Art, mit der ihre Finger die Ruder umschlossen und die Knöchelchen weiß hervortraten, wenn sie sich darauf stützte. Faszinierend fand er nach wie vor die variantenreiche Mimik der Menschen. Wenn sie lächelten, sahen sie fast aus wie Turianer mit rosaner Hautfarbe. Diese Frau lächelte - Nein, sie lachte! - fast so sehr, dass man ihre Zähne sah. Bei Turianern sah man die Zähne immer. Vakarian mochte diese Tatsache. Dieses Lachen. Es erinnerte ihn an etwas ...
*
Palavan, Turia IV, vor 21 Jahren
An einem viel zu großen Schreibtisch saß der kleine Junge. Wer Turianer nicht kannte, dem musste sowas erst erklärt werden. Sie waren keine fleischigen Pinkyhäute sondern ihre metallischen Hautplatten sowie das dürre Fleisch darunter schattiert eher grau oder blau. Für gewöhnlich wird die Farbe heller, je älter man wird und die Kinder erscheinen darum auch oft fast schwarz oder dunkelblau. Wie bei jedem Kind der Galaxis glaubte man, die Köpfe seien zu groß und auch die Hände schienen unproportional. Das Kindchenschema sollte verhindern, dass erwachsene Fresser sich am Nachwuchs zu schaffen machten. So wirkte auch der Schreibtisch mit dem hohen Stuhl eigentlich viel zu groß für den kleinen Vakarian aber der Aufsatz über das Kindchenschema musste eben geschrieben werden. In diesem Haus hatte seine Mutter das Sagen. Aber nicht, weil Vater Pallin so schwächlich gewesen wäre. Nein, er war nur einfach selten da. Er diskutierte viel und war bekannt aber Vakarian vermisste ihn trotzdem. In der Schule wurde ihm beigebracht, logisch und konsequent zu denken und Vakarian brauchte in diesem Stadium seiner Existenz keinen Vater mehr. Es war recht einfach: Pallin war der Versorger der Familie und solange er dem nachkam, wäre seine Aufgabe erledigt. Illo war als Mutter für die Erziehung zuständig und solange sie das erledigte, wurde sie ihrer Aufgabe gerecht.
Wie konnte der Tag dennoch weitergehen? Vakarian ließ sich in den Stuhl sinken und sah sich um. Ihr Heim war wie alle turianischen Heime mit steriler Harmonität eingerichtet. Wenig Schnickschnack, viele klare Linien die meist geschwungen waren. Die Farbe Weiß, Glas und Stahl dominierten die turianische Architektur und so war auch Pallins Arbeitszimmer eingerichtet, in dem sich der kleine Vakarian befand. Wobei man noch hinzufügen muss, dass er nicht mehr allzu "klein" war, immerhin sollte er in einem Jahr die Schule abschließen. Er war zumindest größer als seine Schwester, hatte die Zeit der Hautaufhellung aber noch nicht ganz erreicht. Wenn man einen Vergleich zu Menschen ziehen wollte, so konnte man sagen das Vakarian gerade dabei war, die Pubertät abzuschließen. Und was Menschen waren, wusste er natürlich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Die Turianer waren noch in der Prä-Warp-Phase und Varkarian selbst träumte nur davon, zu den Sternen zu fliegen. Manchmal stahl er nachts einfach einen der Wassergleiter seiner Eltern und fuhr hinaus ins Meer wo kein Licht seinen Blick zu den Sternen störte. Manchmal konnte er stundenlang im Gleiter liegen und dort nach oben sehen.
Die turianischen Meere haben eine eigene Melodie, sagt man. Als würde ihnen eine unsichtbare Musik innewohnen. Viele Turianer mieden die Weiten des Meeres. Es machte ihnen zwar keine Angst aber die blauen Flächen umfing stets etwas Geheimnisvolles. Als würden sie jeden verschlucken, der ihr Geheimnis erkennen könnte. Vakarian kümmerte all das aber gar nicht. Er lag nur da und ließ sich vom Rauschen der Wellen und dem Blick zu den Sternen umfangen. Es war ineffizient und töricht, was er tat aber er wusste auch, dass es seine Person definierte und der Zweck der Schule auch war, seinen Charakter zu bilden.
Den Aufsatz über das Kindchenschema gab er am nächsten Tag ab. Die Schule war für ihn eine Qual und schon immer gewesen. Seine relativ helle Haut und seine Neigung dazu, sich lieber mit Sternen und Wellen zu befassen als mit jungen Turianerinnen und den einsetzenden Rangkämpfen um die besten Mentoren führten fast in jeder Arbeitspause dazu, dass ihn seine Kameraden neckten und ihm die Rangkämpfe aufdrängten. Vakarian war kein schlechter Kämpfer. Aber selbst ein guter Kämpfer unterliegt wenn ihn vier oder fünf Gegner gleichzeitig angreifen. Wenn er nach Hause kam, war bei Vakarian fast immer eine Hautplatte gebrochen oder sein Kopfrand demoliert. Er versuchte, das vor seinen Eltern zu verstecken aber je mehr er sich dafür schämte umso mehr fand er Trost in den Sternen und je mehr er dort war, desto mehr hänselten ihn seine Mitschüler. Er schämte sich dafür, nicht Teil von Ihnen zu sein.
Die Schule endete. Und das Leben nahm und gab. Auf der Erde würde man Vakarian nun einen Zyniker nennen, so wie seine Entwicklung verlief. Selbst für Turianer war er außergewöhnlich kühl und distanziert. Es war seine Schutzmauer vor dem Ärger. Er redete sich ein, es wäre nötig um in jeder Lage Objektivität zu wahren. Aber letzten Endes war es eine Rüstung aus Abweisung, die er sich anlegte. Sie half ihm dabei, die Militärakademie zu absolvieren. Er wurde ihr bester Absolvent. Er verließ diesen Ort mit höchsten Dekorationen. Aber ohne einen einzigen Freund.